Meine Mutter ist nicht tot, aber ich habe sie verloren | Gedankenkritzelei

Das ist kein wissenschaftlicher Text, sondern eine Gedankenkritzelei. Jeden Donnerstag schreibe ich über etwas, das mir auf dem Herzen liegt. Wenn ich etwas wissenschatftlicher werde, bemühe ich mich keine Falschinformationen auf den Weg zu bringen. Wenn das doch passiert, lasst einen Kommentar da. Ebenso, wenn ihr Lust zu diskutieren habt oder wenn ihr eine virtuelle Umarmung braucht. Die gibt es hier gratis.

Meine Mutter ist nicht tot, aber ich habe sie verloren

Ich habe vor einer Weile bei der Zeitschrift „Die Verpeilte“ über den Alkoholismus meiner Mutter gesprochen *KLICK* und meinen Schuldgefühlen darüber, dass ich nicht mehr unternommen habe, sie zu einer Therapie zu bewegen. Geendet habe ich mit der Aussicht, dass wir Hilfe von außen bekommen und meiner Hoffnung, dass sie doch noch die Kurve bekommt. Das Feedback war groß und viele meinten, sie würden sich in meinem Geschriebenen wiederfinden. Wer weiß, vielleicht hilft es jemandem, wenn ich es aufschreibe. Vielleicht hilft es auch einfach nur mir. Hier also eine Fortsetzung:

Der Versuch, sie mit der Hilfe einer Suchtberatung zu bewegen, eine Therapie zu machen, ist gescheitert. Sie hat meine Regel, dass sie ihren Enkel nur sehen kann, wenn sie nichts getrunken hat, einfach ignoriert und stattdessen mir betrunken seitenweise WhatsApp-Nachrichten geschickt, mit wilden Verschwörungstheorien, in denen mein Vater das absolut Böse verkörpert. Die Nachrichten haben mich mitgenommen und als sie nicht aufgehört hat, obwohl ich ihr gesagt habe, dass mich das verletzt, habe ich begonnen, sie zu ignorieren. Alle 3-4 Monate haben wir etwas unternommen, z.B. ein Tierparkbesuch, damit ich ihr ihren Enkel nicht ganz vorenthalte, aber gleichzeitig volle Kontrolle habe und Abstand wahren kann.

Nun hat meine Mutter stark abgebaut, ist immer wieder gestürzt, bis sie sich schließlich den Oberschenkelhals gebrochen hat. Im Krankenhaus und der Reha ist sie dann etwas aufgeblüht. Ohne Alkohol konnte man sich besser mit ihr unterhalten, also dachten mein Vater und ich, dass wir nochmal einen Vorstoß wagen. Den Tag ihrer Entlassung, bevor sie Alkohol trinken konnte, bin ich hingefahren und habe sie gebeten einer Therapie eine Chance zu geben. Ich weiß nicht, ob sie da wieder getrunken hatte oder ob ihr Gehirn mittlerweile einfach zu kaputt ist, aber sie hat wirre Dinge erzählt und alles, was sich gesagt habe ignoriert. Nicht nur das, sie hat mich direkt angelogen, behauptet sie würde eine Therapie machen, und die Therapeutin würde zu ihr nach Hause kommen und dass sie eine Affäre mit dem Nachbarn hätte. Beides ziemlich offensichtlich Unfug. Das fand ich krass. Noch krasser fand ich, dass sie, als ich ihr mein Herz ausgeschüttet habe, mich ignoriert hat. Ich habe ihr von meinen Schuldgefühlen erzählt, wie ich mit 19 Jahren über Selbstmord nachgedacht habe, wie schlecht es mir damit geht, sie so zu sehen. Sie hat nicht reagiert und wieder von sich und ihren Verschwörungstheorien erzählt und ich habe etwas begriffen: Das wichtigste in ihrem Leben ist sie selbst. Sie war nicht immer so, aber dass sie wieder wie früher wird, von dem Gedanken muss ich mich verabschieden.

Ich kann meine Mutter nicht retten. Meine Mutter ist zwar noch nicht tot, aber ich habe sie bereits vor Jahren verloren.

Nun muss ich auf mich selbst achten und mein Kind. Auch wenn es nicht schön ist, solange sie keine Therapie macht, wird sie ihren Enkel nicht mehr sehen. Ich werde ihre Anrufe annehmen, ich werde ihr zu ihrem Geburtstag gratulieren, aber das war es. Ich muss Abstand nehmen. Wenn ich dann in ein paar Jahren an ihrem Grab stehen werde, kann ich den aufkommenden Schuldgefühlen immerhin entgegenbrüllen: Ich habe es versucht.

11 Kommentare zu „Meine Mutter ist nicht tot, aber ich habe sie verloren | Gedankenkritzelei

  1. Ich denke, du machst es richtig. Was du dir antust (von ihr antun lässt), ist deine Entscheidung, aber du hast den Job, für dein Kind einzustehen, bis er es selbst kann. Und wenn ich das sagen darf: Schweig sie nicht tot, mach es nicht so wie deine Eltern mit dir. Ich habe zwar keine Ahnung, wie das gehen kann, aber du solltest es zumindest auf der Rechnung haben.
    Ich fand deinen ersten Text schon klasse, dieses Update ist es auch.
    Herzliche Abendgrüße ☁️🌧️🎶🍵🍪

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  2. Ich habe schon auf bsky kurz geantwortet…

    Du bist nicht alleine. Ich fühle das alles sehr. Ich habe zwar meine Mutter nicht an bzw. durch den Alkohol verloren (auch wenn der bei meinen Eltern auch immer eine große Rolle gespielt hat, zudem war mein Opa väterlicherseits Alkoholiker), sondern durch die Trennung meiner Eltern. Meine Mutter hatte eine Affäre mit dem Nachbarn (der genauso alt war wie mein Opa, also ihr Vater und sie gegen mich aufgehetzt hat). Nachdem ich kein Verständnis für diese Affäre bzw. das Verhalten meiner Mutter hatte (komisch, sie war eines Tages einfach verschwunden als ich von der Schule nach Hause kam…), hat sie sich gegen mich gewandt und mir so weh getan, dass ich den Kontakt abgebrochen habe. Es folgten weitere Verletzungen ihrerseits…und wir hatten über 25 Jahre keinen Kontakt.
    Einen Menschen, die eigene Mutter, zu betrauern, der noch lebt, ist die Hölle. Weil niemand, der nicht ähnliches erlebt hat, seinen Scherz sieht. „Die Person lebt doch noch – da gibt es doch keinen Grund zu trauern. Ruf sie halt an. Du bist doch selbst Schuld, Du willst doch nicht mit ihr sprechen.“ Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich überhaupt verstanden habe, dass ich trauern kann und darf. Nicht nur um meine Mutter, sondern auch um andere Dinge, die dadurch nie passiert sind oder kaputt gegangen sind… Und ich habe über 25 Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass ich ihr nie wichtig war. Die ganze Zeit dachte ich, es tue ihr doch irgendwie leid, ich bin ich trotzdem wichtig. Nachdem ich vor 2 Jahren durch weitere weniger schöne Umstände einige Male mit ihr telefoniert habe und am Telefon weinend zusammen gebrochen bin, habe ich es kapiert. Es tut ihr nicht leid. Sie tut sich nur selbst leid. Ich bin ihr nicht wichtig.

    Es tut mir leid, dass Du ähnliches durchmischen musst. Aber es hilft auch zu lesen, dass andere Menschen auch solche Dinge erleben. Ich habe das Gefühl, dass heutzutage so gut wie alles online geteilt wird, detaillierte Beschreibungen von Geburten, Krankheiten, tägliche Updates zum Zyklus, Stories über den blöden Chef….Probleme mit den Eltern aber so gut wie nie thematisiert werden.

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    1. Das klingt in Teilen sehr ähnlich. Einige Menschen können nursich selbst sehen bzw haben so große Probleme, dass dies irgendwann der Fall wird. 😔

      Kommt drauf an. Auf Twitter gefühlt sehr viel, aber da soiekt sicher der Algorithmus mit rein. Was ich stark unterrepräsentiert finde, sind einfach Angehörige per se. Beim Thema Alkoholismus ist mir das insbesondere aufgefallen, eben weil es mich betrifft.
      Danke für deinen Kommentar. 🥰 Austausch ist so wichtig.

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