Vergangenheitsaugen | abc.etüden 19+20

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Dies ist ein Text zu den abc.Etüden von Christiane. Ziel ist es 3 Worte in 300 Zeichen unterzubringen. Die Schreibeinladung für die Wochen 19+20 beinhaltet die Worte „Katzenauge“, „kurios“ und „balancieren“, gesponsort von mir.

Ich habe kürzlich für einen Artikel zum Thema Karrierewechsel recherchiert. Viele Wechsel haben sich einfach so ergeben, andere mussten erst ihre Perspektive wechseln. Ich glaube es würde vielen Menschen gut tun, ihr heutiges Leben aus Vergangenheitsaugen zu betrachten. Das hat mich zu diesem kleinen Text inspiriert.

Vergangenheitsaugen

Der Arzt sagte Karl, er hätte Burn-Out, aber Karl glaubte nicht daran. Die Symptome fand er kurios nicht beunruhigend. Er war erst 29 Jahre alt und sein Leben lief gut. Ihm war einfach etwas schwindelig und die Luft fühlte sich manchmal schwerer. Also arbeitet er bis er gar keine Luft mehr bekam.

Als er zum zweiten Mal von der Arbeit mit dem Krankenwagen abgeholt wurde, bat ihn sein Chef sich um seine Gesundheit zu kümmern. Karl nahm sich den Urlaub, den er seit zwei Jahren gesammelt hatte und beschloss seine Eltern endlich zu besuchen.

Jetzt lag er hier in seinem Jugendzimmer, das seine Eltern nur als Stauraum verwendet hatten. Es war kleiner als in seiner Erinnerung, beengend. Neben der Tür stand sein Jugendbett, daneben zwei Regale, einen Schreibtisch und der Kleiderschrank. Auch die Wände waren voll – Poster seiner Lieblingsbands Metallica und Pearl Jam, Filmplakate, einige nicht angezogene Frauen und Poster seine Lieblings-Animeserien Gundam Wing und Katzenauge. Unter der Decke klebten Bilder von Flugzeugen und Raumschiffen.

Karl legte sich auf sein Bett. Früher fand er dieses Zimmer nicht beengend. Es war seine Höhle, voller Träume und Ideen. Sein Leben hatte er sich dabei nie so vorgestellt, wie es jetzt war: Arbeiten, arbeiten, arbeiten, in der Freizeit betrinken oder auf dem Sofa liegen. Wenn er ehrlich mit sich war, balancierte er bereits eine Weile am Rande des Burn-outs. Wenn er noch ehrlicher mit sich war, war er gänzlich unzufrieden.

Vielleicht war es an der Zeit wieder 18 zu sein und nochmal zu träumen. Karl blickte nach oben und atmete tief durch. Irgendwie fühlte sich die Luft mit einem mal viel leichter an.

18 Kommentare zu „Vergangenheitsaugen | abc.etüden 19+20

  1. Ab und an muss wahrscheinlich jeder Mensch mal Kurskorrekturen vornehmen, aber für deinen Protagonisten ist nun wirklich höchste Zeit. Hoffentlich biegt er jetzt mal richtig ab!

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  2. Urlaub. Seit zwei Jahren angesammelt. Aha.
    Der wird irgendwann wach werden und sein Leben hassen, aber so richtig. Und dann richtig unfähig sein, sich auch nur in Richtung Arbeit zu bewegen. Vielleicht nur im übertragenen Sinne, vielleicht wörtlich. Glückwunsch.
    Ich hoffe, dir geht es besser. 😉
    Liebe Grüße
    Christiane

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      1. Bei uns gibts auch da Ärger. Unbezahlte gibts schonmal gar nicht. Wenn jm mehr als 10 arbeitet läd der Betriebsrat ein. Nur schade, dass es nicht überall so ist.

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  3. Das sind die Leute, die mit Ende 30 von sich sagen Eigentlich wäre Paketzusteller ein Superjob, wenn der Zeitdruck nicht so riesig wäre (Einer meiner Assistenten ist im Hauptberuf Paketzusteller, vorher ist er mit Mitte oder Ende 20 an der Uni zusammengeklappt.)

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    1. Paketzusteller wäre auch so ein Horrorjob für mich. Alles was das Leben übernimmt. Selbst wenn man sein Hobby zum Beruf macht, Dauerstress ist einfach nicht gut.
      Grüße, Katharina

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      1. Er hat sich das auch nicht ausgesucht. Der hat nachdem er damals zusammengeklappt ist nichts anderes gefunden. War erst eine Übergangslösung, dann kam er aber nicht mehr weg. (Gälte bei der Arbeitsagentur auch wegen Studienabbruch und weil er in seinem Ausbildungsberuf mehr als fünf Jahre nicht gearbeitet hat – erst Ausbildung, dann Studium – als ungelernt, das heißt, er würde eh nichts anderes bekommen, zumindest nicht, das nicht noch schlimmer wäre.)

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      2. So Geschichten kenne ich leider auch. Wäre schön, wenn in unserer Gesellschaft solche Jobs gar nicht erst so furchtbare Bedingungen hätten. Ob ungelernt oder nicht, jeder sollte einen Job machen können, der wenn auch nicht erfüllend wenigstens nicht Lebensqualität beraubend ist.

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  4. Ein Reset und Reboot, das braucht man manchmal. Könnte ich auch mal brauchen – nicht unbedingt bis 18 zurück – 10 Jahre würden reichen.

    Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten….was ein Leben. Nicht erstrebenswert.

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    1. Manchmal wünsch ich mir das auch, einfach nur um schlechte Zeiten zu überspringen, aber irgendwie formt einen auch das Schlechte und wer weiß, vllt wären andere Wege schlechter gewesen.

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  5. Aber das geht schnell – nimm einen Job, der deine Fähigkeiten mit deinen Interessen verbindet, viel Konkurrenz hat, immens schnelllebig ist, im Lebenslauf keine Lücken zulässt und außerdem noch mit Abend- und Wochenendveranstaltungen daher kommt: Zack, bist du drin in der Mühle. Ich habe ein paar Kolleginnen und Kollegen, die immer kurz vor Ende sind und trotzdem weitermachen. Ein paar treibt der Ehrgeiz an, die anderen die Angst, nie wieder eine gleichwertige Stelle zu bekommen. Und da haben sie wohl leider tatsächlich Recht.

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    1. Im Bereich Informatik kenne ich das auch. Programmierer werden gerne ausgenutzt, vor allem in hippen Firmen. Trotzdem ist kein Job der Welt die eigene Gesundheit wert. Andererseits sollte es in einer so modernen Gesellschaft gar nicht erst passieren dürfen, dass Menschen so ausgenutzt werden…

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  6. Liebe Katharina,

    danke für diese Geschichte. Sie spiegelt eine Seite des heutigen Lebens, die ich bedenklich finde – und gleichzeitig ertappe ich mich immer wieder dabei, als Selbstständige auch über meine Grenzen zu gehen. Und ich merke: Manchmal schlittere ich da rein und bemerke nicht sofort, dass genau dieser eine Termin der ist, der zu viel war.
    Wie gut, dass wir Menschen lernfähig sind, wenn wir denn wollen…

    Gott sei Dank allerdings bin ich noch lange nicht soweit wie dein Protagonist; dazu weiß ich zu viel und habe zu viel ähnliches erlebt. Außerdem habe ich Familie, die mich immer wieder runter holt; Frauenfreundschaften; Enkelkinder, für die ich Zeit haben will und ich habe Lust zum Schreiben, Lesen und – seit Neuestem – auch zum Malen. Das schafft dann doch den notwendigen Ausgleich.

    Ganz wichtig: Es liegt in meiner Verantwortung, was ich tue, um Ausgleich zu finden. Zu wissen, das Leben ist mehr als Arbeit, ist da schon ein super Beginn.

    Herzlich, Judith

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    1. Ja, das Umfeld ist sehr wichtig. Ich neige auch dazu meine Grenzen zu unterschätzen. Es ist immer gut, jm zu haben, der als Anker wirkt.
      Danke für deinen Kommentar. ☺️

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