Der Schatzmeister | abc.etüden

Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Ziel ist es 3 Worte in 300 Zeichen unterzubringen. Die Schreibeinladung für die Wochen 46+ 47 beinhaltet die Worte „Museum, biografisch, erinnern“, gesponsert von Erinnerungswerkstatt.

Ich habe gerade einen Podcast über den Fall Nicholas Leeson/Barings Bank gehört und fühlte mich inspiriert, etwas in der Art zu schreiben.

Der Schatzmeister

Er schritt den Gang hinab und zählte die Gemälde an der rechten Wand. Nicht, dass das nötig wäre, sollte eines abgenommen werden, ginge sofort der Alarm los, aber Günther vertrieb sich so die Zeit. Es war zwei Uhr, bis sechs musste er noch arbeiten, dann übernahmen die Kollegen im Technikraum die echte Überwachung. Er war der „Finger weg“- und „Rucksäcke bitte abnehmen“-Typ. Das klang negativ, aber eigentlich mochte Günther seinen Job im Museum. Kein Vergleich zu früher, als er noch als Aktienhändler tätig gewesen war.

Das waren Zeiten. Er hatte live den Beginn des Digitalen Zeitalters erlebt. Noch in seiner Ausbildung verkauften und kauften sie per Handzeichen, dann begann man alles elektronisch zu ermitteln. Er erinnerte sich an dich Erleichterung, die er verspürt hatte. Das alte System war zu fehleranfällig geworden. Einmal an der Stirn kratzen und schon verkaufte jemand fälschlicherweise Aktien für 10.000 Dollar. Als dann alles via Email ging, dachten sie, es würden keine Fehler mehr passieren, bis das Ding mit dem ersten großen Crash passierte. Man lernte daraus, passte an, ließ Köpfe rollen – auch seinen. Im Nachhinein war er nicht böse darum, denn so hatte er seine Kinder noch aufwachsen gesehen, neue Hobbies gefunden und ausreichend Schlaf. Geld war nicht alles.

Günther bog zu den alten Meistern ab. Seine Lieblingsabteilung. Er konnte sie stundenlang ansehen und darüber nachdenken, wie ihr Leben wohl ausgesehen hatte. Vor allem mit einem Gemälde fühlte er sich biografisch verbunden: Dem Schatzmeister. Wie er so ruhig dasaß und all das Gold betrachtete. So was in der Art tat er hier auch, nur, dass die Kunst mehr wert war als alles Geld der Welt.

Ja, er mochte die Arbeit wirklich.

„Bitte nicht zu nahe an das Gemälde treten, danke!“ sprach er eine ältere Frau an.

Nur die Besucher nervten manchmal.

8 Kommentare zu „Der Schatzmeister | abc.etüden

  1. Ich glaube, dass das ziemlich selten ist, dass jemand aus dieser beneideten und zugleich übel beleumundeten Branche aussteigt. Meine Hochachtung vor deinem Protagonisten, und ich freue mich für ihn, dass er etwas gefunden hat, was (ihm) wirklich etwas wert ist. 😉👍
    Abendgrüße 😁🍁🧦🍷🍪👍

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    1. Ist die Frage, ob er die Wahl hatte. Die großen Fische finden nach Skandalen sicher was (siehe Leeson), aber ich habe mich gefragt, was mit den normalen Mitarbeitern passiert. Ich hoffe, so etwas wie Günther. 😇😅
      Nebelmorgengrüße zurück. 🌫️

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