Friedrich | Etüdensommerpausenintermezzo

Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Diesmal mit dem Etüdensommerpausenintermezzo. Ziel ist es mindestens 7 aus 12 Wörtern (siehe Bild) in einem Text unterzubringen und es muss an einem echten Gewässer spielen.

Friedrich

Friedrich war achtzehn Jahre alt, als er das erste Mal ans Meer reiste. Seine Eltern hatten nicht viel Sinn für weite Reisen und so hatte „in den Urlaub fahren“ für ihn immer geheißen, den Bauernhof seines Onkels in Sommerloch zu besuchen. Immerhin lag dieser in Rheinland-Pfalz und nicht in Hessen, wo er wohnte. So konnte er, wenn man es nicht zu genau nahm und er das „Bundes“ verschluckte, immerhin behaupten, in den Ferien ein anderes Land besucht zu haben. Das minderte jedoch nicht seinen Neid den Klassenkameraden gegenüber. Wenn Thorsten erzählte, wie er am Fjelleruper Strand Muscheln gesammelt hatte oder Sonja, die am Similaungletscher Ötzi besucht hatte, stellte er sich vor, auch solche Reisen zu unternehmen, sobald er alt genug dazu war und das nötige Kleingeld hatte.

Nun war es also soweit. Achtzehn war alt genug und das Geld, dass ihm seine Eltern zum Geburtstag geschenkt hatten, reichte für eine Zugfahrt an die Ostsee. Und jetzt stand er hier, mit den Füßen im Wasser und roch das Meer. Es war als würde das salzige Wasser seine Lebensgeister wecken, als würde es in seine Poren fließen und ihn von Innen ausfüllen. Er saß stundenlang am Strand, noch weit nachdem die Sonne untergangen war und Wetterleuchten den Himmel erhellte. Selbst als es zu regnen begann, blieb er sitzen. Wo sollte er auch hin? Das Geld hatte nur für die eine Zugfahrt gereicht, nicht für eine Unterkunft oder Essen. Zum Glück hatte er sich ein paar Brote geschmiert für die Fahrt, doch um Mitternacht grummelte sein Magen so laut, dass es lauter klang als das Rauchen des Meeres. Doch das störte Friedrich genauso wenig, wie die Kälte. Es war ein milder Winter und mit seiner dicken Kleidung und dem Regenschirm ließ es sich gut aushalten. Statt auf Hunger und Kälte konzentrierte er sich auf das Meer, atmete die salzige Luft ein, lauschte dem Rauschen der Wellen und dem Platschen des Regens, als wäre es ein klassisches Konzert.

Erst als die Sonne wieder aufging, konnte er sich losreißen und begann darüber nachzudenken, was er nun tun sollte. Er könnte den Weg zurück trampen oder betteln gehen bis er genug zusammen hatte, um zurückzufahren, aber wenn er ehrlich zu sich war, wollte er das nicht. Er wollte raus aufs Meer. Einer fixen Idee folgend versuchte Friedrich den Rest des Tages auf einem Schiff anzuheuern, doch einen Ungelernten, der keine Erfahrung hatte, wollte niemand nehmen. Man empfahl ihm eine Ausbildung zu machen oder zu studieren, doch Friedrich wollte nicht warten. Er wollte jetzt aufs Meer hinaus. Immerhin hatten genug Kapitäne Mitleid mit ihm, dass sein Magen nach einigen Fischbrötchen aufhörte zu grummeln.

Abends saß er frustriert vom Tag erneut an dem kleinen Strand. Wenn er schon kein Fischer sein konnte, vielleicht etwas anderes, überlegte er. Der Traum vom Meer hatte sich in eine Obsession verwandelt und so flüsterte Friedrich in die Wellen „Ich werde Pirat“, dann lachte er und legte sich in den Sand. Er war todmüde und schlief sofort ein, obwohl es diese Nacht viel kälter war als die letzte. Es war bereits weit nach Mitternacht, als er von kleinen eigenartigen Lichtern geweckt wurde. Erst dachte er, es seien Glühwürmchen, doch dann erblickte er ein Schiff auf dem Wasser, von dem aus das Licht gesendet wurde.

„Ahoi Matrose,“ ertönte eine tiefe raue Stimme hinter ihm. Friedrich zuckte zusammen und drehte sich um. Dort stand ein großer Mann in eigenartiger Kleidung. Er hatte einen langen braunen Mantel an, einen schwarzen Dreispitz auf dem Kopf und eine Augenklappe. Seine Goldzähne glitzerten im Mondlicht, als er lächelte. „Ich hörte, du willst Pirat werden.“

Friedrich nickte. Sein Herz schlug wie wild und sein Mund war so trocken, dass er keinen Ton herausbekam.

„Dann wirst du nun Schiffsjunge in meiner Crew. Wir durchsegeln die Meere, Flüsse und Seen der Welt, manchmal auch die Gebirge, Felder und den Himmel. Wir trotzen allen Gesetzen, den menschlichen und denen der Natur, aber vor allem trotzdem wir dem Leben.“

Friedrich starrte den Mann an. „Wie heißen sie?“

„Kapitän Jones und dies ist mein Schiff die Wasserläufer.“

Unbemerkt war das Schiff auf den Strand gesegelt und schwebte nun einige Zentimeter über dem Boden neben Friedrich und Kapitän Jones. Als eine Strickleiter hinabgeworfen wurde, wirbelte sie Sand auf.

„Ich bin mir nicht sicher…“ Friedrich versuchte seine Stimme wiederzuerlangen. Ihm war eigenartig warm und kalt zugleich.

„Das musst du nicht. Du hast erklärt, dass du Pirat wirst und ich habe deinen Ruf erhört. Es gibt keinen Weg zurück. Das Meer spaßt nicht. Niemals.“

Kapitän Nemo ging an Friedrich vorbei und erklomm das Schiff über die Leiter. Benommen stand Friedrich auf. Für einen kurzen Moment überlegte er zu fliehen, doch etwas in ihm hinderte ihn daran. Stattdessen nahm er die Leiter in die Hände und erklomm sie Sprosse für Sprosse. Das Seil schnitt in seine Hände und er hatte Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten. Bereits nach einigen Metern schmerzten seine Muskeln unerträglich, doch er kraxelte weiter hinauf. Als er fast oben angelangt war, blickte er auf den Strand hinunter. Es war ihm, als würde er dort jemanden liegen sehen. Er zuckte mit den Schultern. Sicherlich nur ein Schatten. Den letzten Meter erklomm er mit Leichtigkeit und schwang sich an Deck, wo er von seinen neuen Kameraden jubelnd begrüßt wurde.

15 Kommentare zu „Friedrich | Etüdensommerpausenintermezzo

  1. Tief traurig und wunderschön. Sehr berührend 🧡. Ich bin ein bisschen bestürzt, dass der Junge sein altes Leben so einfach aufgibt, und finde den Preis hoch, aber jetzt segelt er in der ewigen Crew …⛵
    Doch, gut gemacht, toll! 🧡👍
    Mittagskaffeegrüße 😁⛅⛵🦢🕊️☕🍪👍

    Gefällt 1 Person

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