„Luisa“ | Writing Friday – KW4

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* Dies ist ein Text zu der Aktion „Writing Friday“ von Elizzy. Jeden Freitag wird zu einem der vorgegeben Themen veröffentlicht. Die Liste aller Teilnehmer findet ihr auf Elizzy’s Seite.*

BITTE LESEN: Ich spoiler ungern, aber in dem Text behandele ich das Thema Vergewaltigung. Ich beschreibe nichts explizit, aber ich bin mir bewusst, dass das ein sensibles Thema ist. Die Geschichte ist komplett erfunden, aber inspiriert durch eine Bekannte, der so etwas in der Art passiert ist.

Thema: Luisa erwacht am Neujahrsmorgen und kann sich kaum an Silvester erinnern. Erzähle was geschehen ist.

Luisa hatte das Gefühl aus einem Sumpf aufzutauchen. Ihr Kopf, eigentlich ihr ganzer Körper fühlte sich unendlich schwer an. Langsam öffnete sie die Augen. Es schien Tag zu sein, aber die Vorhänge waren zugezogen. Sie sah sich um, doch erkannte nichts wieder. Auf der gegenüberliegenden Wand hing ein Beatles-Poster, ansonsten waren die Wände leer. Es gab einen Ikea-Kleiderschrank und eine Ikea-Kommode, einen grauen Teppich und eine silberne Deckenleuchte. Neben dem Bett stand ein kleiner Tisch mit Nachttischlampe und Wecker. Alles sauber und ordentlich. Unpersönlich. Fast steril. Bei wem hatte sie übernachtet?

Langsam richtete sich Luisa auf. Sie war nackt. Neben sich sah sie ihr Kleid und zog es schnell über – falsch herum, aber das war jetzt egal. Ihr Kopf begann von der kleinen Bewegung wie verrückt zu pochen. Wieviel hatte sie getrunken? Eigentlich war sie doch bei Bier geblieben, und dann zum Jahreswechsel gab es den Sekt. Danach hatte sie soweit sie sich erinnerte, noch ein paar Bier getrunken, mit Limonade gestreckt. Es hatte noch diese irre lange Diskussion gegeben, ob das nun Alster oder Radler war.

Die Tür öffnete sich und Jannis, ein Kommilitone ihrer Freundin Marie, kam herein.

„Na Dornröschen, ausgeschlafen?“ Er lächelte und reichte ihr ein Wasser und eine Tablette. „Ibu. Trink aber erstmal langsam einen Schluck Wasser.“

Luisa nickte und tat wie ihre geheißen. Sie fühlte sich fahrig und nervös. Hatten sie miteinander geschlafen? Wieso war sie nicht wie geplant bei Marie geblieben?

Das kühle Wasser tat ihrer Kehle gut, doch als es ihren Magen erreichte, überkam sie kurz eine Welle der Übelkeit.

„Eimer?“

Luisa schüttelte den Kopf. Langsam wurde es besser. Sie schob die Tablette in den Mund und beförderte auch diese in ihren Magen. Der rebellierte wieder kurz, ließ sich die Chemie aber gefallen. Für einen ausgewachsenen Kater ging es ihrem Magen noch erschreckend gut. Normalerweise hatte sie kein Kopfweh und wesentlich mehr Übelkeit. Jetzt schien es umgekehrt.

„Badezimmer ist nebenan. Ich bin in der Küche und schaue React-Videos. Frühstück gibt es auch, wenn dir danach ist.“ Jannis lächelte. „Ging mir danach erheblich besser.“

Jannis wirkte selbstsicher. So hatte Luisa ihn vorher nicht erlebt. Allerdings kannte sie ihn auch kaum. Er studierte mit Marie und war schon ein paar Mal mit ihnen weggewesen. Er hatte immer so schüchtern gewirkt, fast ängstlich.

Langsam stand sie auf. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an, aber sie hatte immerhin das Gefühl, dass die Ibu wirkte. Der Flur der Wohnung war winzig und beinhaltete nur ein paar Kleiderhaken an der Wand mit zwei Jacken. Anscheinend gab es neben dem Schlafzimmer noch ein Wohnzimmer. Links ging es zum Bad und kurz dahinter war die Küche. Sie hörte Musik, Stimmen und leises Lachen von Jannis.

Das Bad war klein und ebenfalls spartanisch eingerichtet. Immerhin gab es einen Spiegel, in den Luisa lieber nicht hätte schauen sollen. Ein Zombie stand ihr in nichts nach. Sie schmiss sich etwas Wasser ins Gesicht und beschloss eine kurze Katzenwäsche durchzuführen. Sie hatte das Gefühl, wie eine Kneipe zu riechen. Jannis hatte ihr Handtuch und Wachlappen auf die Toilette gelegt.

Sie zog sich das Kleid wieder aus. Langsam wusch sie ihre Schultern, ihr Dekolleté und ihre Achseln. An den Oberarmen fielen ihre links und rechts blaue Flecke auf. War sie gefallen? Sie sah an sich herab und fand allerhand Blessuren. Oh man, was war nur passiert?

Langsam kam auch das Gefühl in ihrem Körper zurück und als sie sich auf die Toilette setzte, bemerkte Luisa, dass ihr auch noch andere Teile ihres Körper weh taten und das sicher nicht von einem Sturz. Die Innenseite ihrer Oberschenkel waren rötlich bis blau und eine Spur Blut zog sich über ihren Venushügel. Luisa begann zu zittern. Sie zog sich das Kleid an und ging ins Schlafzimmer, um sich auch ihre restlichen Kleidungsstücke anzuziehen. Dann verließ die Wohnung. Nur weg.

Erst als sie in ihrem eigenen Bett lag, nach gefühlt stundenlanger Busfahrt, begann sie zu weinen. Überall stand, man fühle sich schmutzig. Luisa fühlte sich einfach nur leer.

9 Kommentare zu „„Luisa“ | Writing Friday – KW4

  1. Das passiert so oft – verachtenswert – Ich hatte immer Angst, dass so was mal passiert – mir zum Glück nie und auch nie einer Freundin. Wie geht man mit sowas um – als Betroffene und als Freundin.
    Sehr berührend und beängstigend.

    Grüsse

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    1. Hey Rina,
      ich glaube, es kommt immer auf die Person an. Ich kenne leider mehrere mit so Erfahrungen. Die meisten haben es erst Jahre später erzählt. Ich hoffe, durch die neuen offenen Debatten wird das besser.

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      1. Oh, schlimm. Ich befürchte, dass diese Erfahrungen tatsächlich ansteigen. Zu meiner „Jugend“ als ich auch oft noch viel alleine unterwegs war, hab ich mich eigentlich immer sicher gefühlt.

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      2. Tatsächlich ist das nicht so. Es wird nur gottseidank heute drüber geredet. Die meisten Übergriffe finden im vertrauten Umfeld statt. Man ist als Frau statistisch gesehn im Park sicherer als Zuhause. Bis vor 20 Jahren war zB Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar. Heute wird zum Glück mehr angezeigt.

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  2. Hallo Katha,

    mutig von dir, dass du das Thema behandelt hast. Es ist eine sehr traurige Geschichte, die aber auch zum Nachdenken anregt. Die arme Luisa.
    Mir hat gefallen, wie du zwar eindeutige Hinweise gegeben, aber die Interpretation dem Leser überlassen hast. Keine Gewaltszenen oder dergleichen, aber dennoch ein Text, der einen schwer schlucken lässt.

    Danke für diesen Beitrag!

    Liebste Grüße
    Emma

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  3. Liebe Katha, ich finde das Thema das du gewählt hast auch sehr mutig und wie du damit im Text umgegangen bist sehr respektvoll. Es ist nicht einfach darüber zu reden / zu schreiben. Aber ich finde es wichtig, dass man sich auch mit solchen Themen befasst und sich Gedanken darüber macht!

    Gefällt 1 Person

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