Gespräche mit Rüdiger – Vom Erkennen | Etüdensommerpausenintermezzo

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Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Diesmal mit dem Etüdensommerpausenintermezzo. Ziel ist es mindestens 7 aus 12 Wörtern (siehe Bild) in einem Text unterzubringen und einen echten Ort einzubauen.

Nach einer Pause ist er wieder da: Rüdiger! Die, die Rüdiger schon kennen, merken vielleicht einen kleinen Wechsel der Erzählweise. Ich habe bisher philosophische Thesen ohne Benennung dieser erklärt. Das will ich jetzt ändern. Mein Ziel ist es, meine Liebe zur Philosophie zu vermitteln…und natürlich meine Liebe für Katzen, aber das ist selbstverständlich.;)

Etüdensommerpausenintermezzo: Gespräche mit Rüdiger – Vom Erkennen

„Da bist du ja wieder.“

„Ja, irgendwie schön zurück zu sein und dich kleine Fellnase wiederzusehen.“ Ich gehe zum Fensterbrett in der Fehlannahme, dass Rüdiger, weil er mich vermisst hat, einen Schmatzer auf den Kopf will. Doch er duckt sich und geht zum Fressnapf. Ich gebe laktosefreie Schlagsahne zur Feier des Tages aus.

„Liebe geht durch den Magen,“ grummelt er schmatzend und ist vollends auf sein Essen fokussiert, bis nur noch eine Sahnewölkchen übrig bleibt. Ich unterdrücke einen Kommentar zu seinem kleinen Sahnebärtchen.

„Es war auf jeden Fall schön. Auch wenn ich dich vermisst habe.“

Rüdiger rollt sich auf meinem Schoß zusammen. „Jetzt darfst du. Aber keine Küsschen.“

Ich kraule seinen Nacken. „Hach, es war wundervoll. So eine Kulturreise ziehe ich einem Strandkorb jederzeit vor.“

„Du warst in der Stadt, die von einem Vulkan eingeäschert wurde, oder?“

„Nein, das ist Pompeij. Ich war in Rom. Die Stadt steht noch und da leben Katzen.“ Rüdiger horcht auf. Ich habe sein Interesse geweckt, also erzähle ich rasch weiter. „Es gibt eine Menge moderner Gebäude in der Stadt, zwischen denen immer wieder alte Säulen und Gebäudefragmente auftauchen. In einem Mitten in der Innenstadt gibt es sogar einen Verein, der sich um die dort streunenden Katzen kümmert. Und dann gibt es natürlich noch die großen Sehenswürdigkeiten. Gebäude die vor hunderten bis tausenden von Jahren errichtet worden. Vor allem das Kolosseum war der Wahnsinn. Wir mussten nicht lange anstehen und konnten gleich durch die alten Gemäuer stromern. Erst sind wir einmal rechts herum gegangen. Weißt du wie das Kolosseum aussieht?“

„Menschliche Gebäude sind uninteressant. Außer es sind Restaurants, Kantinen oder es gibt einen warmen Schlafplatz.“

„Du bist ein Banause. Das Gebäude ist tausende von Jahren alt. Auf jeden Fall ist es ein rundes Gebäude, das in der Mitte quasi ein Loch hat, in dem die Veranstaltungen der alten Römer stattfanden. Wir sind dann den Gang entlang gegangen, der einmal fast ganz ums Kolosseum läuft. Warte ich zeige es dir.“ Ich hole mein Handy hervor und zeige Rüdiger Bilder. Der sieht mich frustriert an, weil ich aufgehört habe, ihn zu kraulen.

„Da siehst du. Das ist der Gang. Und da sind überall so Schaukästen mit Informationen, zum Beispiel mit alten Modellen, Steinen und Blaupausen.“

„Die ist ja hübsch.“

„Wer? Die blonde Große, die so aussieht, als wäre sie dem Diätwahn verfallen?“

„Nein. Die kleine Rote“ Ich sehe Rüdiger verwirrt an.

„Die Katze da hinten im Schatten.“

Ich zoome in das Bild. „Die ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Kein Wunder. Unsere Welten bauen sich unterschiedlich auf.“

„Wie meinst du das denn?“ Ich ahne bereits, dass ein Rüdigervortrag folgen wird.

„Also wenn man den Konstruktivisten glauben will, dann baut man sich selbst seine Welt zusammen. Die Realität ist daher eine Kombination aus dem, was wir sehen, fühlen, hören, riechen, tasten und dem, an das wir uns erinnern. Jede Wahrnehmung ist subjektiv.“

Ich sehe Rüdiger fragend an. „Aber wir sehen doch beide einen Gang mit Säulen und Menschen.“

„Die Katze hast du nicht gesehen.“

„Jetzt wo ich weiß, dass sie da ist, sehe ich sie.“

„Mir ist sie sofort aufgefallen, da ich eher auf Katzen als auf Menschen achte und darauf, ob mich jemand massiert oder nicht.“ Rüdiger sieht mich erwartungsvoll an. Ich beginne ihn wieder zu kraulen.

„In Ordnung, aber abgesehen davon, sehen wir doch alles gleich.“

„Ich sehe die Farben anders als du.“

„Aber wenn du ein Mensch wärst…“

„…würde ich die Farben auch anders sehen. Farben sind nicht absolut. Wenn jemand andere Rezeptoren im Auge hat, sieht er anders. Zum Beispiel Menschen mit rot-grün-Schwäche. Farben existieren nicht. Licht trifft mit unterschiedlicher Wellenlänge auf unsere Augen und das Gehirn verarbeitet daraus eine Information. Die kann aber auch falsch sein. Weißt du noch das lächerliche Bild, von dem die Leute nicht wussten, welche Farbe der Fetzen Stoff hat?“

Ich nicke. „Du meinst das Kleid.“*

„Das Gehirn verarbeitet auch das Drumherum und wenn das nicht plausibel ist, füllt es die Lücken so, dass es plausibel ist. Noch schlimmer ist es mit Erinnerungen. Deine Reisegefährtin würde Rom ganz anders erklären als du, weil sie andere Erfahrungen gemacht hat.“

„Das ist ja verrückt. Also gibt es keine objektive Realität?“

„Kommt drauf an, wem du glauben willst. Im Konstruktivismus gibt es auch unterschiedliche Positionen. Die, die das radikal durchziehen, sagen nein. Andere behaupten, dass es zumindest gemeinsame Regeln gibt. Und dann gibt es noch die Gegenpositionen, die…“

Rüdiger springt mit einem Mal auf.

„Was denn nun?“

„Pst.“

Rüdiger wackelt mit seinem Hinterteil, dann stürmt er in die Zimmerecke.

„Spinne?“

Ohrenkneifer,“ erklärt Rüdiger schmatzend.

„Habe ich nicht gesehen. Aber warte, wenn ich es nicht sehe, ist es nicht Teil meiner konstruierten Realität. Schließlich ist es mir egal, ob da ein Ohrenkneifer ist. Ich will ihn ja zum Glück nicht essen. Vielleicht funktioniert das auch mit dem Urlaubswäschestapel.“

„Ja, aber nur bis du davor läufst. Die Masse von Dingen kann auch der Konstruktivismus nicht wegerklären.“

„Sag mal, jetzt hast du das Thema aber ganz geschickt gewechselt. Ich wollte dir doch erzählen, wie schön es in Rom war.“

„Ich höre dich leider nicht. Gerade bist du nicht mehr Teil meiner Realität.“ Rüdiger springt aus dem Fenster. Ich habe den befellten Neunmalklug wirklich vermisst.

*****

Wer mehr zu Konstruktivismus wissen will, dem empfehle ich diese Folge aus einem meiner Lieblingspodcasts: *klick* oder dieses Buch: Paul Watzlawick (Hrg.): Die erfundene Wirklichkeit.

*Und hier zu dem Kleid ein Artikel *klick*

19 Kommentare zu „Gespräche mit Rüdiger – Vom Erkennen | Etüdensommerpausenintermezzo

      1. Tetrachromat: Woher weißt du das, bzw. wie macht sich das bei dir im Alltag bemerkbar? Ich habe den Begriff gerade gegoogelt und bin auf diesen Test gestoßen … ich bin deutlich auch im höchsten Bereich, und gerade ziemlich irritiert … 😉

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      2. Ich hatte eine coole Physiklehrerin mit der wir einen Test gemacht haben. In meiner Klasse waren wir zu zweit. Hn bemerkbar… ich mag orange nicht gerne. 😅 Ansonsten merk ich schon ab und an in Beschreibungen, dass Farben von anderen anders verortet werden. Ich glaube, die meisten Tetrachromaten merken es nicht, weil man ja keinen direkten Vergleich bekommt, wie andere sehen. 😅

        Gefällt 1 Person

  1. Ich kann ganz eindeutig bestätigen, dass auch mein Fellträger nicht geknutscht zu werden, wünscht – meine Anfälle toleriert er, frei nach dem Motto: Wenn sie es halt braucht … 🙂 Davon ab mag ich deine philosophische Katze schon sehr. Gern öfter! 😀
    Und ebenfalls danke für die diversen Links. Ich erinnere mich auch noch an die Kleid-Diskussion. Ich bin nicht mehr sicher, ob es nur EIN Bild gab, ich glaube, ich konnte mir beides vorstellen, ich glaube aber auch, dass ich damals Gold-Weiß den Vorzug gegeben habe … spannend. Danke! 😉
    Liebe Grüße
    Christiane 😀

    Gefällt 1 Person

    1. Mit dem Knutschen ist echt so ein universelles Katzending, und das Putzen nach dem ekligen Knutscher auch. 😅
      Es gab mehrere Bilder, aber es fing alles mit dem Gold-weißen an. Gibt es btw auch mit Musik. Mailab hat dazu mal ein Video gemacht („Die Wissenschaft des Hörens“).

      Gefällt 1 Person

  2. Da muss man schon mit Katzen über reale Massen diskutieren. Aber dass es unterschiedliche Standpunkte und individuelle Wichtigkeiten gibt ist klar…zum Glück redet mein Kater nicht 🙂

    Interessante Gedanken allemal 🙂

    Gefällt 2 Personen

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