
Dies ist ein Text zu der Impulswerkstatt von Myriade. Ziel ist es etwas Kreatives zu vorgeschlagenen Bildern oder zu einer Schreibaufgabe zu erstellen. Hier könnt ihr alles darüber lesen: *KLICK*
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Omas Sockenschublade (Bild Nr 2)
Lange stehe ich vor diesem Bild. Es fasziniert mich, nicht, weil es besonders schön ist, sondern weil es mir einen Schauder den Rücken hinunterjagd. Ich sehe Gesichter, verschwommen, verzerrte Fratzen, sehe wie eine Frau von einer Seekreatur umschlungen wird. All das findet über den Wolken statt. Unterhalb ist alles zerstört, geschmolzen in den Höllenfeuern oder weil die Menschheit es nicht geschafft hat, den Planeten Erde zu erhalten. Nur ein einzelner Schmetterling ist zu erkennen. Wenn er noch am Leben ist, nicht mehr lange. Ich muss an die Bilder von Hieronymus Bosch denken. Der niederländische Maler hat keine solcher Weltuntergangsszenarien entworfen. Bei ihm war alles von Religion inspiriert, aber nicht minder schrecklich. Horrorgestalten verzierten seine Gemälde und mehr als einmal zeichnete er die Hölle. Ob der Maler oder die Malerin dieses Bildes davon inspiriert war?
„Gefällt dir das Bild?“, höre ich eine Stimme hinter mir fragen und zucke zusammen.
„Ja, irgendwie und irgendwie so gar nicht. Aber meine Augen sind gefesselt“, sage ich wahrheitsgemäß und drehe mich zu der Stimme um. Hinter mir steht eine junge Frau vielleicht gerade erst zwanzig Jahre alt geworden. Sie hat blondes langes Haar, trägt ein Blümchenkleid und dazu rote Ballerina. Ein kleines Tattoo auf ihrem Handgelenk wirkt fast schon stören bei ihrer kindlichen fast schon naiven Erscheinung.
„Oh, ich fasse das als Kompliment auf, denke ich“, sagt sie und lacht.
„Kompliment?“, frag ich nach.
„Oh Entschuldigung, ich habe die drei Gemälde auf dieser Wand gemalt, inklusive dem, vor dem du stehst“, sagt sie.
Ich werde etwas rot. „Hätte ich das gewusst…“
„Hättest du es netter formuliert?“, fragt sie und grinst.
Ich nicke.
„Das wäre schade. Was ein Bild auslöst, hat meist nicht viel mit dem Kunstschaffenden zu tun“, sagt sie. „Soll ich dir verraten, was ich darin sehe?“
Ich nicke und mache mich innerlich auf eine spannende Erzählung von Kriegen und Katastrophen gefangen.
„Die Sockenschublade von meiner Oma.“
Ich schaue das Bild an, zu überrascht etwas zu erwidern.
„Vielleicht auch nicht, könnte es aber genauso gut sein. Weißt du, worum es mir in bei meinen Bildern geht?“ Sie grinst und zeigt auf das Gemälde daneben, bei dem ich direkt an Feuer denken muss, ans Verbrennen. „Ich will Menschen helfen, sich selbst zu hinterfragen. Meine Bilder sollen Illusionen sein. Daher heißt das, vor dem du stehst ‚Die Sockenschublade meiner Oma‘ und das daneben ‚Der rote Kater Mikesch‘.“
Nun grinse ich auch. „Hn, dann hat Hieronymus Bosch vielleicht auch nur die Sockenschublade seiner Oma gemalt oder einen Jahrmarkt mit Karussells.“
„Vielleicht,“ antwortet die junge Künstlerin, dann entschuldigt sie sich und spricht mit den anderen besuchenden der Galerie. Ich bleibe noch eine Weile und versuche herauszufinden, ob die weiße Masse am unteren Rand, vielleichte ein Feinstrumpfhose darstellen könnte.

Eine wirklich originelle Art der Kunstbetrachtung! Auf Omas Sockenschublade muss man ja erst einmal kommen und auf diese ungewöhnliche Malerin ! Herzlichen Dank für diesen Beitrag mit der ganz neuen Perspektive auf dieses Bild 😉 Und das weiße am unteren Rand ……. hihi
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Danke. 😅 Ich finde Bildinterpretationen sehr spannend. Habe als Kunstführerin immer gefragt, was Menschen in den Werken sehen und manchmal kamen wirklich tolle Dinge dabei raus.
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Ah du bist also Profi😊 es ist manchmal wirklich verblüffend, was verschiedene Leute in einem Bild sehen. Omas Sockenschublade gehört aber unbedingt unter die ersten Plätze
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Bin gerade sehr froh, dass ich Omas Sockenschublade nie geöffnet habe – wenn sie genauso dystopisch ausgesehen hat, hätte mich das als Kind sicherlich erschreckt 😉
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😂 Das ist auch eine Betrachtungsweise.
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