Ein blumiger Wunsch | abc.etüden

Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Diesmal mit dem Etüdensommerpausenintermezzo. Ziel ist es mindestens 7 aus 12 Wörtern (siehe Bild) in einem Text unterzubringen und es muss ein Wunsch vorkommen.

Ein blumiger Wunsch

Nun stand sie hier, in ihrer ersten eigenen Wohnung. Ein Zimmer, das mit ihrem Kinderzimmerbett und der kleinen Couch aus dem Keller ihrer Oma bereits voll war, ein kleines 70er-Jahre-grünes Badezimmer und eine Nische, in die sich die Küchenzeile quetschte. Die Wände waren fleckig und der Parkettboden löchrig und zerkratzt. Das beste an der Wohnung war der Balkon. Er war klein, aber ein Stuhl und ein kleiner Tisch würden draufpassen. Trotz all der Unzulänglichkeiten liebte sie die Wohnung, weil sie ihre war. Sie war nun eigenständig, erwachsen, frei.

Die nächsten Stunden verbrachte Hanne damit die wenigen Möbel, die sie besaß, zu arrangieren und ihre Kleider, Bücher und anderen Habseligkeiten zu verstauen. Es ging schneller als gedacht, und bereits bevor es dunkel wurde, konnte sie sich entspannen und einen Film schauen, den sie sich vorausschauenderweise runtergeladen hatte. Internet hatte sie noch keines, das würde kommen, ebenso wie alles andere. Vor dem Umzug hatte sie ziemliches Lampenfieber gehabt, aber jetzt fühlte sie sich so, als würde ihre Welt sich fügen.

Über die nächsten Tage ergänzte Hanne ihre Wohnung. Ein kleiner Kühlschrank zog ein, ein paar Regale für ihre Bücher, Blumenkästen, die sie nach und nach mit Erde füllte und ein wenig Deko für die fleckigen Wände. Sie mochte nicht zu viel Schnickschnack in ihrer Wohnung, aber sie wollte, dass sich die Wohnung nach ihr anfühlte, nach einem Rückzugsort, wo sie sein konnte, wie sie war.

Als endlich alles perfekt schien, stellte sie einen kleinen Klappstuhl und einen alten Gartentisch, den sie im Sperrmüll gefunden hat, auf den Balkon und atmete durch. Sie betrachtete die Balkons ihrer Nachbarn unter und neben sich. Die meisten waren kahl, nur ein Stockwerk schräg unter ihr gab es ein paar lustige Balkonbewohner. Auf ein paar vertrockneten Pflanzen saßen kleine Elfenfiguren. Irgendwie trostlos, fand Hanne, aber so wirklich heimeliger war ihr Balkon auch nicht mit den Balkonkästen, in denen sich bisher nur Erde befand. Sie vermisste die Streuobstwiese, die sie von ihrem Kinderzimmerfenster aus hatte sehen können. Im Frühjahr hatte sie auf ein Blütenmeer geschaut und dann über den Sommer hinweg beobachten, wie Früchte den Platz der Blüten einnahmen, bis schließlich Vögle kamen und das Obst, das nicht schnell genug geerntet wurde, anpickten. Wenn sie das Fenster gekippte hatte, hörte sie die Vögel. Hier auf dem Balkon hörte sie nur den Straßenlärm und ab und an eine Sirene in der Ferne.

Trotz der langweiligen Aussicht und der unangenehmen Geräuschkulisse blieb sie sitzen. Es war schwül, auch in ihrer Wohnung. Eine Gewitterfront war angekündigt worden, aber bisher sah man davon wenig. Hanne überlegte ein Buch zu lesen, aber so richtig Lust hatte sie auf nichts. Auch wenn sie es ungerne zugab. Jetzt wo sie fertig war, fühlte sich ihre Wohnung gar nicht mehr nach Freiheit an, sondern nach Leere. Sie wollte die Wohnung mit sich selbst ausfüllen, mit ihrer Essenz, aber wer war das eigentlich? Was machte sie aus?

Mit einem Mal landete ein Rotkehlchen auf ihrem Balkon und sah sie an. Hanne bewegte sich nicht und beobachtete den Vogel, der sich ihren Balkon ganz genau ansah, bevor ein Geräusch von der Straße ihn erschreckte und er davonflog. Ein Zweig fiel auf den Boden. Er sah aus wie eine kleine Wünschelrute. Hanne lächelte bei der Erinnerung daran, wie sie und ihr bester Freund sich mit einer Wünschelrute einen Spielplatz in der Nähe gewünscht hatten und dann war tatsächlich einer zwei Straßen weiter gebaut. Vielleicht klappte es wieder. Einer Eingebung folgend hielt Hanne die Wünschelrute fest in den Händen, schloss die Augen und malte sich aus, wie Blumen auf ihrem Balkon wuchsen und Ranken sich daran hochschlängelten. Plötzlich blitzte es und sie zuckte so sehr zusammen, dass sie den Zweig aus Versehen zerbrach. Das Gewitter nahte schnell und sie räumte die Möbel in ihre Wohnung, ohne nochmal an den Zweig zu denken.

Am nächsten Morgen konnte Hanne ausschlafen. Irgendwann, es war beinahe Mittag, erhob sie sich aus ihrem Bett. Die Wohnung war nicht mehr ganz so schwül und ein leichter Lufthauch wehte durch das Fenster herein. Es roch nach Blumen, dabei roch es sonst nach Abgasen oder rauchenden Nachbarn. Neugierig ging sie zu ihrem Balkon, wo das Fenster gekippt war und staunte, als sie in einen Blütentraum schaute. Über Nacht waren in ihren leeren Balkonkästen die schönsten Blumen gewachsen. Sie ragten und rankten um und über ihren Balkon, sodass sie kaum mehr die Straße und die Garage unter sich sah. Es roch himmlisch süß und fruchtig. Hanne lächelte. Sie konnte sich nicht erklären, was passiert war, aber sie spürte gleich, wie ein wenig von Leere wich. Nicht viel, aber genug, dass sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sich hier wohl fühlen würde.

8 Kommentare zu „Ein blumiger Wunsch | abc.etüden

  1. Diesen ‚Zauber‘ habe ich auch gerade erlebt –
    wochenlang hat die Kresse nur grüne Stängel hervorgebracht. Gestern entdeckte ich eine Knospe und heute morgen sehe ich zum ersten Mal eine orangefarbige Blüte 🙂

    Schön geschriebene Sommergeschichte, bravo!
    LG Charis (mit neuem blog: charis1dotblog.wordpress.com/ )
    bei dem die Fotos LEIDER nicht sichtbar sind :/

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