
Das ist kein wissenschaftlicher Artikel, sondern eine Gedankenkritzelei. Es gibt selten Quellen und nirgendwo den Anspruch auf Richtigkeit. Ich bemühe mich aber, keine Falschinformationen auf den Weg zu bringen. Wenn das doch passiert, lasst einen Kommentar da. Ebenso, wenn ihr Lust zu diskutieren habt oder wenn ihr eine virtuelle Umarmung braucht. Die gibt es hier gratis.
Cancel Culture – Talk Culture
Hasst noch jemand dieses Wort? Für mich steht es für alles, was bei Social Media falsch läuft. Zum einen wird jede Kritik, jeder Versuch etwas zu ändern, direkt als Cancel Culture abgetan und gleichzeitig gibt es Empörungswellen, die am Leben erhalten werden, um zu unterhalten. Wie soll man eine echte Kritik von einer Empörungswelle unterscheiden, wenn mit so viel unterschiedlichem Maß gemessen wird?
Ein Beispiel: Der Sänger von Rammstein soll seine Macht missbraucht haben. Viele, wirklich viele Frauen, sprechen darüber, wie sie sich unwohl auf Aftershowpartys gefühlt haben, wie sie Handlungen vollzogen haben, die sie eigentlich nicht wollten. Lassen wir Missbrauchsvorwürfe außer Acht. Dass es diese Ausnutzung von Groupies gab, kann nicht mehr weggeredet werden, weder bei Rammstein noch bei anderen Bands in der Vergangenheit. Bei den Vorfällen bei Rammstein hagelte es Kritik, Leute riefen dazu auf die Band zu boykottieren etc., weswegen jetzt viele Fans der Band „Cancel Culture“ rufen. Doch ist es das wirklich? Ist methodischen Machtmissbrauch aufzeigen canceln? Will man Bands unterstützen, die ihr Macht ausnutzen und junge Frauen zu etwas bringen, was sie nicht wollen? Einfach zu sagen, dass jede für ihr Handeln selbst verantwortlich ist, ist viel zu einfach in einer Gesellschaft in der zu Frauen, die belästigt werden, gesagt wird „Boys will be boys“ oder „Was hattest du denn an?“.
Anstatt sich also darüber zu unterhalten, wie man Frauen schützt, wie man das Groupie-Dasein weniger glamourös darstellt, wird jetzt von der Seite der Fans laut „Cancel Culture“ geschrien und von den Gegnern wird zum Boykott aufgerufen. Beides ohne sich mit dem eigentlichen Thema auseinanderzusetzen. Wenn man sich die Cancel-Seite anschaut, findet man darunter Betroffene, die sich Luft verschaffen wollen, Leute, die empathisch sind und helfen wollen und Leute, die wirklich einfach gerne canceln. Es ist nämlich viel einfacher, andere für ihre moralischen Fehler zu verurteilen, als die eigenen Fehler anzuschauen oder die gesellschaftlichen Probleme, die dahinterstehen.
Die Belästigung und der Missbrauch von Frauen ist kein externes Problem, keines von Bands oder, wie gerne hervorgebracht, von Migranten. Missbrauch von Frauen ist ein Problem unserer Gesellschaft. Immer wieder werden Frauen kleingeredet, immer wieder wird auf die unfassbar wenigen Falschbeschuldigungen verwiesen, immer wieder wird Frauen selbst die Schuld gegeben.
Was ist nun mit Rammstein? Wie sollte man verfahren? Zum einen sollte darüber geredet werden, wie junge Frauen besser geschützt werden. Wie wäre es, wenn Veranstalter Security bereitstellen, die auf die Frauen aufpassen oder wenn es Anlaufstellen auf jeder Party gäbe, an die sich Frauen wenden können, wenn sie sich unwohl fühlen? Zum anderen ist da die Frage, was man mit der Band macht: Alles was strafrechtlich relevant ist außen vor. Jeder Fan muss sich selbst fragen, ob er oder sie die Band weiter supporten möchte. Dann aber in dem Wissen, dass es eben diese Vorfälle gab. Dasselbe gilt für all die anderen Bands/Künstler, bei denen das der Fall ist. Nur weil man etwas nicht wahrhaben möchte, weil man seine Lieblingsband nicht verlieren will, sollte nicht dazu führen Frauen und ihre Erfahrungen kleinzureden.
Ich fände es schön, wenn das, was wir als Cancel Culture bezeichnen, konstruktiver werden könnte. Es ist gut, Missstände aufzuzeigen, Opfern Gehör zu verschaffen, ABER dann sollte man auch die dahinterstehenden Probleme angehen. Wenn Rammstein keine Bühne mehr bekommt, ist das Problem nicht weg. Es gibt immer noch Bands, immer noch junge Groupies, immer noch systematischen Machtmissbrauch und Belästigung. Wie wäre es, wenn wir eine Talk Culture begründen, die statt Dinge wegzureden, Dinge konstruktiv diskutiert.

kann ich nur unterzeichnen, diese ganze Empörung, angeheizte Stimmung, Lagerbildung, mediale Ausschlachtung, Vorverurteilung von allen Seiten ist eine schlimme Entwicklung, Talk Culture… da bin ich für.
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Internet ist zwar top, aber manchmal frafe ich mich, ob Social Media unbedingt erfunden werden musste. 😬
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ist ja im Grunde nur die konsequente digitale Weiterführung altbewährter gesellschaftlicher Mittel, wie des Mobs mit Fackeln und Forken, der durchs Dorf getriebenen Sau, des Laufstegs, des Prangers und der Marktschreierei. 😁
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Wie überall liegt Segen & Fluch sehr nah beieinander.
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Wohl wahr. 😅
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