Gespräche mit Rüdiger – Von der Zukunft | abc.etüden

Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Diesmal mit dem Etüdensommerpausenintermezzo. Ziel ist es mindestens 7 aus 12 Wörtern (siehe Bild) in einem Text unterzubringen und er muss Kommunikation zwischen mindestens zwei Arten (Mensch, Tier, Pflanze, Wesenheiten) beinhalten.

Gespräche mit Rüdiger – Von der Zukunft

Ich strecke die Füße im Sand aus und genieße das Kitzeln zwischen den Zehen. Heute ist kein besonders geeignetes Wetter, um an den Strand zu gehen, aber dafür bin ich alleine. Eine kühle Böe erfasst mich und ich ziehe meine Häkeljacke enger um meine Schultern. Gerade will ich die Augen schließen, um das Meeresrauschen zu genießen, da höre ich ein Räuspern hinter mir.

„Für dich hast du Snacks eingepackt und für mich?“, fragt Rüdiger und stiefelte auf mein Badehandtuch, auf dem er mit seinen Pfoten großzügig Sand verteilt.

„Ich nehme neuerdings sogar Essen für dich mit auf die Arbeit, falls ich dich auf dem Heimweg treffe,“ sage ich und wühle in meiner Tasche. Gefühlt habe ich meinen ganzen Hausrat dabei: ein Buch, Handy, Bürste, Sonnenmilch, meine Wasserflasche, die Johanniskraut-Kapseln, die ich immer mittags nehme, eine Banane, ein Brötchen, etwas Apfelkompott und was sich schon vorher in meiner Tasche befunden hat. Das Katzenleckerli für Rüdiger finde ich unter meinem Schlüsselbund. Der Kater leckt sich sein Mäulchen, dann rollt er sich neben mir zusammen, sodass ich kaum noch Platz auf meinem Badehandtuch habe.

„Ich wusste nicht, dass du ein Strandgänger bist“, sage ich.

„Och, ganz nett hier. Es gibt Vögel. Nur die Menschen nerven, sogar, wenn sie mal nicht hier sind. Gefühlt in jeder Schaumkrone findest du ein Stückchen Plastik“, sagt Rüdiger und reckt mir seinen Bauch zum Kraulen entgegen.

„Ich glaube, die meisten können nicht absehen, was ihr Handeln zur Folge hat. Die leben im Moment und denken nicht, darüber nach, was eine Plastikflasche mehr auf dem Strand bedeutet.“

„Den Weltuntergang. Einfach“, sagt Rüdiger.

„Das ist doch etwas theatralisch“, sage ich.

„Weißt du das? Jede Handlung hat eine Wirkung. Nicht jede Wirkung sieht man, aber wer weiß, ob es nicht deine Handlung ist, die den großen Berg an Wirkungen zum Einsturz bringt?“

Ich denke nach. „Also sollen alle komplett eingeschränkt leben, weil sie nicht wissen, welche ihrer Handlungen eine Auswirkung auf die Zukunft der Welt hat?“, frage ich. „Das geht doch nicht.“

„Ich zitiere: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.“

„Lass mich raten, das hat ein Philosoph gesagt?“, frage ich und weiß die Antwort schon.

„Hans Jonas.“

„Aber wie soll ich wissen, welche meiner Handlungen schädlich ist? Und kann ich als einzelne überhaupt was ausrichten. DU hast mir doch mal erzählt, dass Shell den CO2-Fußabdruck erfunden hat, um von sich abzulenken“, sage ich, stolz darauf ein Gegenargument gefunden zu haben.

„Und wenn die Welt untergeht, wenn es immer mehr Unwetter, Dürren, Überschwemmungen, Artensterben gibt, willst du einfach sagen: Die Konzerne waren schuld, oder was?“

„Sagen will ich das nicht, aber es zumindest zu einem Teil wahr.“ Genervt spiele ich an meiner Lederkette herum, an der ein Hühnergott hängt. Ich habe ihn letztes Jahr gefunden, als den Strand nach dem Sommer gereinigt haben.

„Du bist auch der Konzern. Wie alle Menschen und ich im streng genommenen Sinn auch. Schließlich esse ich diese eigenartigen Katzenwürstchen, die sicher aus Massentierhaltung kommen. Ich unterstütze damit auch den Untergang.“

„Aber das ist so ein kleiner Beitrag daran…“, sage ich.

„Weiß du wie klein der Beitrag ist? Es geht nicht nur um die eine Handlung, sondern auch welche Handlungen sie nach sich zieht. Du schmeißt Müll an den Strand. Jemand anderes sieht den Müll und sagt ‚ok, da liegt eh schon was, schmeiße ich meinen dazu‘ und so weiter und so fort. Das kannst du mit allem machen. Wenn bestimmte Praktiken gesellschaftlich akzeptiert sind, wenn nicht aufgeklärt wird, welche Handlungen, was zur Folge haben, fühlt sich niemand verantwortlich. Aber jeder einzelne Mensch ist für die Zukunft verantwortlich.“

„Also doch Askese“, sage ich trotzig.

„Wäre das Beste, aber das würdet ihr nie durchziehen. Dafür gibt es zu viele gute Ausreden, wie ‚Aber die anderen.‘ ‚Aber die Konzerne‘, ‚Man kann ja nicht alles aufgeben‘. Man kann so denken, aber dann scheißt man auf die Zukunft.“

„Das ist sehr krass formuliert“, sage ich.

„Ich glaube, bei dem Thema muss man krass sein. Wenn es nur um euch Menschen ginge, ok, wenn es nur um den Planeten an sich ginge, ok, aber es geht um alles Leben auf dem Planeten, dass ihr durch euer Verhalten vernichtet. Die eigentliche Katastrophe ist nicht das Klima, sondern die Menschen. Ich schlafe eine Runde, weck mich falls die Welt untergeht“, sagt Rüdiger und streckt sich so aus, dass ich jetzt gar keinen Platz mehr auf dem Handtuch habe. Ich beobachte eine Möwe, wie sie an einer Snickersverpackung herumzupft. Gerade wäre ich lieber die Möwe. Es wirkt so viel einfacher eine Möwe zu sein, als ein Mensch.

14 Kommentare zu „Gespräche mit Rüdiger – Von der Zukunft | abc.etüden

  1. Als Möwe hat man keine Verantwortung, es ist also tatsächlich einfacher 😉.
    Schön das Dilemma formuliert, ich liebe Rüdigers altkluge Erklärungen sehr. Löst zwar überhaupt keine Probleme, aber ist prägnant auf dem Punkt.
    Danke für den Beitrag zum Etüdensommerpausenintermezzo!
    Mittagskaffeegrüße 🌥️🌳🌼☕🍪

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  2. Rüdiger schien mir schon immer recht schlau. Jetzt sinniert er sogar am Strand und zitiert Kant. Okay, das war mein erster Gedanke, es war dann wohl nicht Kant, aber es klang recht ähnlich. Und es hätte sich so nett gereimt.

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