„Östlich der Sonne, westlich vom Mond“ | Impulswerkstatt

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„Östlich der Sonne, westlich vom Mond“

Es gibt Bücher, die liest man und genießt sie. Wenn man sie sieht, denkt man über den tollen Inhalt nach, aber es bleibt nichts Tiefergehendes haften. Und dann gibt es Bücher, die begleiten einen durch das ganze Leben. Immer wieder denkt man sie und nimmt sie in die Hand. So ein Buch ist für mich „Östlich der Sonne, westlich vom Mond“ von Vratislav Stovicek (Autor) und Zdenka Krejcova (Illustratorin).

Ich habe das Buch von unseren neuen Nachbarn erhalten, als ich im Schwarzwald mit meinen Eltern gelebt habe. Sie hatten selbst keine Kinder und dieses Buch hat mich, als ich es bei ihnen entdeckte so magisch angezogen, dass sie es mir geschenkt haben. Da war ich neun Jahre alt.

Ich weiß nicht, was es genau war, was mich an dem Buch so fasziniert hat. „Östlich der Sonne, westlich vom Mond“ ist ein Märchenbuch mit vielen klassischen Märchen aber auch vielen Geschichten aus unterschiedlichen Ländern, die eher wenige kennen. Eingerahmt sind die Geschichten von dem gleichnamigen norwegischen Märchen. Es geht um ein Mädchen, das einen Eisbären heiraten soll, der im Gegenzug ihrer Familie Geld fürs Überleben gibt. Durch ihre Neugier tut sie etwas Verbotenes, und der Eisbär, den sie inzwischen lieben gelernt hat, und sein magisches Schloss löst sich auf. Sie bleibt alleine auf einem Felsen zurück. Traurig begibt sie sich auf die Suche und kommt zu der Hütte einer alten Frau, die ihr helfen will und ihre vier Söhne herberuft, die Winde aus den vier Himmelsrichtungen. Das Mädchen soll die Winde fragen, ob sie ihren Liebsten gesehen haben, doch die ersten drei können ihr nicht helfen und trösten sie nacheinander, indem sie ihr Märchen erzählen, in der Hoffnung das diese Hinweise auf ihren Liebsten enthalten. Schließlich kann der Nordwind ihr helfen und sie ist wieder mit dem Eisbären vereint. Die Märchen folgen keiner logischen Reihenfolge und sind thematisch und regional unsortiert. Einige Geschichten sind schön, einige sind eher gruselig oder traurig, wie die Originalgeschichte der kleinen Meerjungfrau oder die Geschichte der Medusa.

Ich habe eine Weile jeden Tag eine Geschichte gelesen, dann irgendwann nur, wenn mir das Buch in meinem Regal ins Auge fiel. So mache ich das bis heute. Immer mal wieder lese ich etwas daraus. Früher war das Buch für mich wie ein Reise in fremde Welten und andere Länder, heute ist es für mich eine Reise in meine Vergangenheit. Ich erinnere mich daran, wo und wann ich die Geschichten schon einmal gelesen und was ich gefühlt habe. Gleichzeitig lese ich die Geschichten anders als früher und ich finde den Vergleich spannend.

Und dann gibt es noch eine andere Ebene. Das Buch ist ein wenig kaputt, weil meine Mutter es damals aus meinem Hochbett geschmissen hat, als sie betrunken war. Da war ich zwölf. Ich erinnere mich an meine Trauer. An dem Tag habe ich begriffen, dass ich manchmal kein Kind mehr sein kann. Das Buch stand für mich aber nicht für diesen Moment, sondern für eine Tür zurück, vor dem Moment. Da wo noch alles irgendwie in Ordnung war oder zumindest so schien.

5 Kommentare zu „„Östlich der Sonne, westlich vom Mond“ | Impulswerkstatt

  1. Oh, da habe ich bei dir einen Nerv getroffen. Ich hoffe sehr, dass der positive Anteil dieser Erinnerung stärker ist als der negative ! Ich kannte dieses Märchen auch nicht, bis ich bei Heyerdahls Bericht über seine Expedition zur Osterinsel darauf gestoßen bin und den Titel so inspirierend fand. Mir gefällt auch das Märchen sehr: eine weibliche Protagonistin, die ihr Schicksal in die Hand nimmt, statt auf einen Prinzen zu warten, Naturgewalten wie die Winde, die nicht allmächtig sind sondern nur eine begrenzte Macht haben., sogar der besonders mächtige Nordwind muss sich erholen nachdem er das Mädchen zu dem Ort „westlich der Sonne, östlich vom Mond gebracht hat“. Herzlichen Dank für den Beitrag, der mich auf eine Idee für einen Text gebracht hat.

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    1. Das Buch nehme ich bis heute in die Hand und hoffe, dass ich die Geschichten bald meinem Sohn vorlesen kann. 😇
      Ich fand es auch inspirietend wie stark die Protagonistin selbst ist. Viele der Märchen gehen tatsächlich in die Richtung.
      Ich bin gespannt auf deinen Text.

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