Gespräche mit Rüdiger – Tol(l)eranz | abc.etüden

Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Ziel ist es 3 Worte in 300 Zeichen unterzubringen. Die Schreibeinladung für die Wochen 42+ 43 beinhaltet die Worte „Biedermeier, niederträchtig, flöten“, gesponsert von Puzzle .

Eigentlich wollte ich die nächste Etüde mit Rüdiger Hannah Arendt widmen, aber da werde ich wohl mal eine kleinere Reihe draus machen müssen. Stattdessen gibt es nochmal meinen Lieblingsphilosophen.

Gespräche mit Rüdiger – Tol(l)eranz

„Furchtbare Frau. Das Mistvieh hat ja nicht mal einen Kratzer“, fluche ich laut, als ich meine Wohnung betrete.

Rüdiger sitzt in der Küchentür und nickt. „Deren Katze ist kein Deut besser.“

„Sei du bloß ruhig, du hast mir den Schlamassel eingebrockt. Warum hast du die Katze von Frau Griebe denn angegriffen? Ich saß gerade eine geschlagene Stunde in ihrem Biedermeier-Wohnzimmer und habe mich entschuldigt. Was ist denn mit dir los?“

„Manchmal muss sich wehren, wenn jemand so niederträchtige Reden vom Balkon flötet“, sagte Rüdiger und putzte eine blutige Stelle an seinem rechten Hinterbein.

„Hä?“

„Die doofe Kratzbürste hat nicht einfarbige Katzen als unrein bezeichnet.“

„Deswegen? Lass sie doch ihre bescheuerte Meinung haben…“ erwidere ich genervt.

„Wenn du jetzt was von Toleranz erzählst, kratze ich an der neuen Couch.“

„Was ist denn los mit dir?“, frage ich verwundert.

„Der fette Mike von der Ecke wollte mir auch erzählen, ich müsse tolerant sein, aber ich halte es wie Karl Popper: Toleranz verteidigen, bedeutet die Intoleranten nicht zu tolerieren.“

„Das widerspricht sich doch.“

„Nur augenscheinlich. Wenn man Toleranz auf die ausweitet, die offen intolerant sind, sind es die Toleranten die am Ende vernichtet werden. Inklusive der Toleranz. Gibt es genug Beispiele bei euch Menschen. Ich sage nur Nazis.“

„Aber dann ist man selbst ja intolerant.“

„Nur wenn du es als absoluten Begriff begreifst und das ergibt keinen Sinn, oder tolerierst du, wenn jemand meint, Frauen seien Menschen zweiter Klasse?“

Ich denke einen Moment darüber nach.

„Und jetzt sei bitte tolerant genug und akzeptiere, dass ich Hunger habe.“ Rüdiger geht zu seinem leeren Futternapf.

„Toleranz hat auch ihre Grenzen, hast du gesagt,“ sage ich grinsend.

„Meine Geduld auch. Dann gehe ich jetzt zur neuen Couch und probiere aus, ob sie reißfest ist.“

„Jaja, schon gut, ich gebe dir was, du kleiner tolleranter Terrorist.“

Literaturtipp:
Karl Popper – Die offene Gesellschaft und seine Feinde

14 Kommentare zu „Gespräche mit Rüdiger – Tol(l)eranz | abc.etüden

  1. Auf Deine Etüde möchte ich mal mit einem Gedicht antworten. Geschrieben von Thomas Bartsch unter dem Titel „Von Übergang zu Übergang“, erschienen im Geest-Verlag, ISBN 978-3-86685-814-5:

    „Dieses Bild
    Entstanden allein
    Aus meinem Urgrund
    Zeigt das einzig Wahre!“
    Sagt der Narzisst
    „Dieses Bild
    Ist ein Abbild
    Eines anderen Bildes
    Das ewig schlummert
    In dunkler Tiefe!“
    Sagt der Mystiker
    „Dieses Bild ist ein Ebenbild!“
    Sagt der Gläubige
    „Dieses Bild
    ist zunächst ein Bild nur
    Von dem ich mir erst
    Ein Bild machen muss!“
    Sagt der Skeptiker
    Dieses Bild
    ist all dies
    Und unendlich mehr
    Sagt das Bild

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  2. Was für eine entzückende Ansammlung von misslichen Alternativen! 😉
    Darüber kann man lange und trefflich streiten.
    Abgesehen natürlich von hungrigen aqKatzen. Selbst hungrige und nörgelige Katzen sind toll, nie intol(l)erant.
    Frühabendgrüße an Rüdiger 🐈 und dich 😁🌬️☁️🍲🍞👍

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