Gespräche mit Rüdiger – Vom Beweisen | abc.etüden

Dies ist ein Text zu den abc.etüden von Christiane. Ziel ist es 3 Worte in 300 Zeichen unterzubringen. Die Schreibeinladung für die Wochen 39 + 40 beinhaltet die Worte „Pile“, „schlafen“ und „traurig“, gesponsert von Kommunikatz.

Rüdiger ist wieder da und diesmal hat er meinen Lieblingsphilosophen im Gepäck.

Gespräche mit Rüdiger – Vom Beweisen

Rüdiger landet elegant vor seinen vollen Fressnapf.

„Na du Streuner, ich habe endlich eine unfehlbare Küchenwaage gefunden. Ab jetzt kriegst du genau 100g Katzenfutter.“

Rüdiger sieht mich gleichzeitig entsetzt und traurig an. „Erstens: Ich bestimmte wieviel Hunger ich habe, nicht die Waage. Zweitens: Woher willst du wissen, dass sie unfehlbar ist?“

„Ich habe gestern die mitgebrachten Pilze verarbeitet und das erste Mal ist das Pilzragout was geworden. Sicher lag es an der Waage. Außerdem habe ich unterschiedliche Gewichte draufgelegt und es war immer EXAKT.“

„Das heißt nichts. Beweisen kannst du es nicht, nur widerlegen.“

„Klar. Wenn es immer funktioniert…“

„Immer heißt unendlich oft und so oft kannst du es nicht probieren. Was, wenn beim achttausendsten Mal etwas Anderes angezeigt wird? Aus Einzelfällen kann man kein allgemeines Gesetz ableiten. Hat schon Karl Popper gesagt.“

Ich seufze und denke über das Problem nach. „Aber, wenn es oft genug stimmt, dann kann man sagen, dass es fast vollständig bewiesen ist.“

„Und wann ist oft genug? Und wie groß ist die Fehlerquote von ‚fast vollständig‘?“

„Aber an irgendwas muss ich doch Gesetzmäßigkeiten erkennen, sonst versinkt alles in Chaos.“

„Klar, kannst du das, aber du musst immer darauf gefasst sein, dass du doch falsch liegst.“

„Also könnte es sein, dass die gesamte Physik, die ich in der Schule gelernt habe, falsch ist.“

„Rein theoretisch ja.“ Rüdiger schlürft den Rest des Gelees aus seinem Napf. „Selbst die Futterempfehlung auf der Dose kann falsch sein. Am besten du vertraust mir. Mein Körper weiß, was gut für mich ist. Jetzt zum Beispiel, sagt er mir, dass ich schlafen muss.“

„Du willst doch nur, dass ich dir mehr Essen gebe.“ Ich werfe ein Handtuch, das selbstverständlich nicht Rüdiger trifft, sondern im Wassernapf landet. Der springt leichtfüßig aus dem Fenster und brummelt etwas wie „Dann gehe ich halt zur Nachbarin.“

Quellen zu Karl Poppers empirischem Falsifikationsprinzips:

Karl Popper – Logik der Forschung / Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie / Die Quantentheorie und das Schisma der Physik

Zusammenfassung von „Logik der Forschung“: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/logik-der-forschung/5011

Artikel inkl Kritik an Popper: https://scienceblogs.de/arte-fakten/2009/05/05/karl-popper-und-das-problem-der-falsifikation/

18 Kommentare zu „Gespräche mit Rüdiger – Vom Beweisen | abc.etüden

  1. „Dann geh ich zur Nachbarin“, ist das Argument, das bei allen Dosenöffnern zieht 😉
    Meiner versucht das auch immer wieder. Ansonsten ist gegen seine Argumentation natürlich nichts einzuwenden 😉👍
    Nachmittagsgruß 😁🐈☕🍩👍

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    1. Ich finde es total klasse, wie Du philosophische Fragen und Theorien in kleine Dialoge und Geschichten packst 🙂 Ich bin zwar zumindest auch Drittelphilosophin, aber für solche Etüden müsste ich mich richtig anstrengen und dazu bin ich meist zu faul 🙂

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      1. Bisher habe ich auch nur Themen genommen, bei denen ich mich sehr gut auskenne. Bei anderen wirds schwieriger. Ist gar nicht so einfach eine komplexe Theorie so weit runterzubrechen. Aber Spaß macht es. 😅 Danke.

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      1. Mein Vorurteil lautet, dass ein Philosophiestudium zwar sicher der persönlichen Entwicklung und der eigenen Freude dient, aber für den Brötchenerwerb nur sehr begrenzt einsetzbar ist

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  2. Dein Beitrag über die Wahrheitsfindung finde ich einen genialen Beitrag zu den Etüden. Er hat bei mir sofort eine Erinnerung an einen Aufsatz von Raymond M. Smullyan mit dem Titel „Ist Gott Taoist?“ ausgelöst.

    Ich zitiere mal aus dem Gespräch eines Sterblichen mit Gott:

    Zitat Anfang
    Sterblicher: …….Aber was ich eigentlich wissen will: Gibt es dich?
    Gott: Was für eine merkwürdige Frage!
    Sterblicher: Wieso? Die Menschen stellen diese Frage seit unzähligen Jahrtausenden.
    Gott: Das weiß ich wohl! Die Frage selbst ist nicht merkwürdig; merkwürdig, will ich sagen, ist, das du diese Frage mir stellst!
    Sterblicher: Wieso?
    Gott: Weil ich eben der bin, dessen Existenz du in Zweifel ziehst! Ich verstehe durchaus, was die Sorgen macht. Du hast Angst, dass deine augenblickliche Erfahrung mit mir schiere Halluzination ist. Aber wie kannst du füglich erwarten, von ebendem Wesen, das du im Verdacht hast, nicht zu existieren, verlässlich informiert zu werden, dass es existiert?
    Sterblicher: Du willst mir also nicht sagen, ob es dich gibt oder ob nicht?
    Gott: Ich bin nicht eigensinnig! Ich will dir nur klarmachen, dass du durch keine Antwort, die ich dir geben könnte, zufriedenzustellen wärst. Also gut, nimm an, ich sage: „nein, es gibt mich nicht.“ Was wäre damit bewiesen? Absolut nichts! Oder ich sage: „Ja, es gibt mich.“ Würde dich das überzeugen? Natürlich nicht!
    Sterblicher: Also, wenn du mir nicht sagen kannst, ob es dich gibt oder nicht, wer soll es denn dann können?
    Gott: Das kann dir niemand sagen. Nur du selbst kannst es herausfinden.
    Zitat Ende

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    1. Geht in eine ähnliche Richtung. Wobei Popper alles, was mit Gott zu tun hat mied. Das ist und bleibt unbeweisbar. Bei der Wissenschaft muss man davon ausgehen, dass etwas beweisbar ist. Man muss darauf gefasst sein, dass man falsch liegt. 😅
      Danke. 😇

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  3. Hallo Katharina,
    Schöne philosophische Gedanken. Das macht es sehr spannend. Ich habe auch etwas Philosophie in meinem Studium genossen und fand es immer sehr spannend.
    Einen schönen Sonntag noch und liebe Grüße
    Monika

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